Die Motivation oder: Der Schlüssel zur Lust ist Freude
Von Kathrin Brunner-Schwer
In Beziehungen gibt es immer mal Probleme. Das haben Beziehungen so an sich. Auch in der Pferd-Mensch-Konstellation. Mal hat der eine, mal der andere keinen „Bock“, schlechte Laune, einen blöden Tag, eine Laus auf der Leber. Das Leben ist nicht immer „Légèreté“. Oder vielleicht doch?
Bei der Recherche für diesen Beitrag stieß ich im World Wide Web auf 381.000 Einträge zum Suchbegriff „Motivation Reiten“. Da stehen dann Statements wie "dabei reite ich eigentlich gerne, aber meine Stute ist manchmal so schlimm, dass gar nichts mehr geht und ich befürchte, dass es daran liegt, dass ich immer mehr die Lust verliere. Ich bin schon richtig froh, wenn irgendwas an Stallarbeit anliegt, oder wir nur den Hänger mit Mist wegfahren müssen... Schlimm..."Ich könnte hier eine Liste des Elends aufführen – ersparen wir uns die Depression. Das Thema scheint so groß, dass man Lösungsansätze dafür sogar kaufen kann. Da gibt es beispielsweise (und nicht zu knapp) Workshops gegen das „schlimm“: „Mit den hier vorgestellten mentalen Methoden und Techniken wird sich deine Motivationsentwicklung enorm beschleunigen, weil du dich auf die Jagd nach ständiger Verbesserung begibst.“ 220 Euro für zwei Tage.
Ich
weiß genau, wie das ist, wenn die Motivation fehlt. Ich war auch an
diesem Punkt. Vor drei Jahrzehnten habe ich das Reiten deswegen beinahe
aufgegeben. „Ganze Abteilung im Arbeitstempo Terab“: ätzend.
Immer nur Ausreiten: ätzend. Natural Horsemanship mit Klaus-Ferdinand Hempfling: gar nicht
überzeugend (ja, ich gebe zu, dass ich mich einmal für diese
„Richtung“ interessiert hatte – aber nur kurz).
Es musste noch etwas anderes geben. Das „andere“ entdeckte ich in Frankreich, wo die klassischen Lehren der alten Meister lebendiger waren als es Anfang der 1990er Jahre in Deutschland der Fall war. Genauso wie der Name Nuno Oliveira. Und da war sie dann, die Motivation, die ich seither nie wieder vermisst habe. Und meine Pferde genauso wenig. Es war eine andere Welt: Mit dem Pferd anstatt gegen das Pferd, Gymnastizierung für die Leichtigkeit, die höheren Lektionen wie Piaffe und Passage nicht als Ziel, sondern als Weg. Und um diesen Weg dreht sich alles: Reiten als „Mitmachaktion“, die beiden daran Beteiligten Freude und Motivation bringt.
„Und?
Was machen wir heute?“ - wenn Ihr Pferd Sie mit gespitzen Ohren
danach fragt, sobald Sie im Stall sind, dann gibt’s keine Probleme
mit der Motivation. Es sei denn, Sie reiten immer auf dem gleichen
Thema herum. Will heißen, Abwechslung ist auch ein Schlüssel zur
Motivation. Sogar bei Oliveira. Nach jedem ihrer dreitägigen
Intensivkurse auf meiner ehemaligen Reitanlage wies Sue Oliveira jede
Teilnehmerin und jeden Teilnehmer am Ende darauf hin: „Die
nächsten Tage lässt du dein Pferd bitte in Ruhe. Lass
es auf der Koppel oder geh mit ihm ausreiten. Mach was komplett anderes! Wir haben drei Tage
trainiert und gelernt. Lass dein Pferd darüber nachdenken und
überfordere es nicht!“
Zuviel des Guten macht sauer. Übungsreprisen dürfen immer nur kurz
sein. Und wenn an einem Tag etwas mal nicht klappt, dann klappt es
eben an einem anderen Tag. Punkt.
Ein paar Vorschläge, mit denen Sie die Freude zurück holen:
Abwechslung: Spielen, Ausreiten, Bodenarbeit, Handarbeit, Cavaletti, Ballspielen, Freispringen – es gibt so viele Alternativen zur täglichen Arbeit.
Übungseinheiten und Reprisen kurz halten: Zuviel von immer demselben macht sauer. Das gilt für beide Parteien in der Beziehung.
Wenn etwas Neues geklappt hat – und sei es nach nur fünf Minuten: Überschwänglich loben, sofort absteigen. Die Motivation Ihres Pferdes am nächsten Tag wird enorm sein. Garantiert!
Lassen Sie Ihr Pferd auch mal Pferd sein: Zwei, drei, vier Wochen nur Koppel zusammen mit den Kumpeln wirken sehr oft Wunder.
Und wenn Sie selbst mal aus irgendwelchen Gründen schlecht drauf sind, Ihre Probleme im Büro etwa mit in den Stall nehmen und keine Lust haben: Lassen Sie es, reiten Sie nicht, es macht keinen Sinn. Gehen Sie mit Ihrem Pferd spazieren oder grasen. Ohne Ihre hundertprozentige Hingabe wird Ihr Pferd an diesem Tag ein unzufriedenes sein.
Es ist im Übrigen nicht immer so, dass Sie Ihr Pferd motivieren müssen. Manchmal motiviert Ihr Pferd nämlich auch Sie. Das geschieht dann vor allem an den Tagen, an denen Sie sich nichts Besonderes vorgenommen haben. Sie müssen nur mal „zuhören“. Pferde machen auch Vorschläge. Klar sollte dieser Vorschlag nicht in wilder Bucklerei münden oder in einen beherzten Biss in den Po des anderen Pferdes in der Reithalle. Wenn Sie es jedoch stolz gemacht haben auf etwas, das Sie ihm beigebracht haben, wenn Sie ihm also manchmal erlauben, Erlerntes ungefragt zu zeigen, weil es sich über Ihr Lob so sehr freut, dann wird Ihr Pferd diese Partnerschaft auf Dauer sehr zu schätzen wissen. Ein alter deutscher Reitlehrer namens Norbert Sauer gab mir einmal diesen Tipp – er wirkt manchmal Wunder. „Der Schlüssel zur Lust ist Freude“, unkte er oft.
Pferde wissen viel besser über uns Bescheid, als wir uns vorstellen. Mehr noch: Sie können sogar die menschliche Mimik deuten. Das haben Forscher in einer Studie erstmals nachgewiesen. Verhaltensforscher um Professor Karen McComb und Amy Smith von der Mammal Vocal Communication and Cognition Research Group an der University of Sussex berichteten im Februar 2016 im Fachjournal Biology Letters (DOI: 10.1098/rsbl.2015.0907) darüber, wie 28 unterschiedliche Pferde auf Fotos von Menschen mit positiven und negativen Gesichtsausdrücken reagierten.
Amy Smith ist Doktorandin der Mammal Vocal Communication and Cognition Research Group (Forschungsgruppe für Säugetier Vokalkommunikation und Wahrnehmung) in Sussex und war an der Leitung der Studie beteiligt. Sie sagte: „Was wirklich interessant an dieser Untersuchung ist: Sie zeigt, dass Pferde die Fähigkeit haben, Emotionen über die Speziesbarriere hinweg zu lesen. Wir wussten schon seit langem, dass Pferde sozial hoch entwickelt sind, aber dies ist das erste Mal, dass wir sehen, wie sie zwischen positiven und negativen menschlichen Gesichtsausdrücken unterscheiden können.“ Man fand heraus, dass viele Spezies negative Ereignisse mit ihrem linken Auge beobachten. Informationen vom linken Auge werden in der rechten Hemisphäre des Gehirns verarbeitet und diese ist besonders darauf spezialisiert, bedrohliche Informationen zu verarbeiten. (Quelle: grenzwissenschaft aktuell)
Diese
Studie ist meines Erachtens nur ein kleiner Baustein auf dem Weg der
Wissenschaft, die Interaktion von Tieren – in diesem Fall mit dem
Pferd – mit Menschen zu erklären. Ob es der Wissenschaft jemals zu
hundert Prozent gelingen wird... ich wage es zu bezweifeln. Die
soziale Kompetenz von Pferden ist allerdings unbestritten. Und dass
sie diese soziale Kompetenz nicht nur untereinander, sondern auch
innerhalb der Partnerschaft mit dem Menschen anwenden, müsste jedem
verantwortungsvollen Pferdebesitzer doch täglich klar sein.
Das Urgestein der deutschen Verhaltensforschung, Professor Klaus Zeeb, erklärte mir bei einer Veranstaltung vor etwa 20 Jahren im Institut Egon von Neindorff hingebungsvoll, dass Pferde uns Menschen viel besser verstünden als umgekehrt. Vor allem seien sie in der Lage, feinste Zeichen der Körpersprache zu interpretieren, deren der Mensch sich selbst gar nicht bewusst ist. Sie beobachteten „ihre“ Menschen sehr genau, „sie haben einen eingebauten Stimmungsmesser“, sagte Zeeb. Unsicherheit, Anspannung, Ärger, Wut oder sogar Desinteresse kann ein Pferd bei einem Menschen glasklar interpretieren – umso mehr, wenn der Mensch sich in einer engen Partnerschaft mit dem Pferd befindet.
Es liegt allein an uns Pferdebesitzern, unsere empfindsamen Partner mit derselben enormen sozialen Kompetenz bei Laune zu halten, über die sie selbst verfügen. Ausreden? Abgelehnt.
Zitat:Niemand versteht sich wie er darauf, das Feuer zu unterhalten. (…) Das Resultat ist Anmut und ein Schauspiel der Schönheit, bei welchem das Pferd nicht den Eindruck eines Lebenwesens macht, welches sich aufgegeben hat (…), sondern bei welchem wir, wenn wir sein Auge beobachten, sehen können, wie es auf den Reiter im Eifer der Mitarbeit achtet. ‚Was will er?‘, scheint es zu sagen. Dies ist der ganze Unterschied zwischen ‚hingearbeiteter‘ Reiterei und jener anderen, der wahren. Jener, der das liebevolle Zusammenspiel der Einheit Reiter/Pferd entwächst.
(Antoine Decoux in seinem Vorwort zu Nuno Oliveiras Klassische Grundsätze der Kunst Pferde auszubilden, Olms)Presse 1996)